Vergabekriterien in Freiburgs neuen Baugebieten – Wer baut? Für wen? Baugrundstück Alice-Salomon-Str. Flst. Nr. 30451/2 Innere Elben in St. Georgen

An die Fraktionen im Gemeinderat
der Stadt Freiburg
zur Kenntnis an Stadtverwaltung und Presse

Offener Brief 22.Oktober 2017

Absicht oder Fehlgriff: Vergabekriterien bevorzugen Investoren, schließen Mieterinitiativen faktisch aus und verhindern geförderten Mietwohnungsbau

Sehr geehrter Frau Stadträtin, sehr geehrter Herr Stadtrat,

wir möchten Sie auf einige Ungereimtheiten im Vermarktungskonzept des Grundstücks Alice-Salomon-Str. im Baugebiet Innere Elben hinweisen, das der Gemeinderat am 23.7.2017 einstimmig beschlossen hatte:

1. Bindungsfristen

Warum bekommt ein Investor A für gebundene Mietwohnungen bei nur 20 Jahren Mindestbindungsfrist genau die gleiche Anzahl Bonuspunkte wie ein anderer Investor B, der geförderte Mietwohnungen anbietet, bei denen aber 30 Jahre Bindungsfrist gefordert werden?

2. Mieterbenennungsrecht

Warum bekommt der Investor A bei gebundenen Mietwohnungen und 20 Jahren Bindungsfrist die volle Punktzahl – und zwar ohne ein städtisches Mieterbenennungsrecht, während der andere Investor B mit geförderten Mietwohnungen ein städtisches Mieterbenennungsrecht übernehmen muss, und zwar für die gesamte Förderungsdauer von 30 Jahren?

Vergabekriterien „Innere Elben“

Alice-Salomon-Str. Fl.St. 30451/2

A. „gebundene“ Mietwohnungen

B. „geförderte“ Mietwohnungen

Frei finanziert

Förderkredite

Miethöhe unter Mietspiegel

20 %

33 %

Bindungsfrist

20 Jahre

30 Jahre

Mieterbenennungsrecht

Nein

Ja

(Gutleutmatten: Nein)

Bonuspunkt je Wohnung

1,0

1,0

War das Absicht oder ein Versehen? Man könnte meinen, dass der Kriterienkatalog auf eine bestimmte Kategorie von Investoren zugeschnitten ist: die, die für Kapitalanleger bauen und deshalb nicht auf Fördermittel angewiesen sind.

Mieterinitiativen können das nicht: Ohne die Mietwohnraumfördermittel des Landes (2.400 €/m² zinslos auf 30 Jahre) sind bezahlbare Mietwohnungen nicht möglich. Die Verknüpfung der Mietwohnraumförderdarlehen mit einem Mieterbenennungsrecht der Stadt schließt aber die Mieterinitiativen faktisch aus. Denn diese entstehen – wie der Name „Initiative“ schon sagt – aus Eigeninitiative: Als Wohnung suchende Haushalte, die sich geraume Zeit im Vorfeld der Bewerbung zusammen finden, um ein Hausprojekt zu gründen. Sie entstehen eben nicht im Nachhinein durch das Mieterbenennungsrecht des ALW, das erst zur Fertigstellung des Gebäudes ausgeübt wird.

Die Stadtverwaltung schreibt in der Gemeinderatsvorlage G17/115 als Punkt 4. „Fazit“:

Das vorgeschlagene Vermarktungskonzept ermöglicht Bewerbungen aller Interessengruppen entsprechend ihrer individuellen Zielsetzung und berücksichtigt andererseits eine Realisierung der städtischen Zielsetzung langfristig mietpreisgebundene Mietwohnungen zu generieren.“

Tatsächlich? Im Baugebiet Gutleutmatten wären mit Vergabekriterien a la Innere Elben die beiden genossenschaftlichen Mietshausprojekte Luftschloss und Lamakat nicht berücksichtigt worden. Sie hatten sich mit 70 % geförderten Mietwohnungen für Grundstücke in der Kategorie mit Zusatzkriterien beworben. Insbesondere durch verlängerte Bindungsfristen von maximal zulässigen 55 Jahren und entsprechenden Bonuspunkten bekamen sie den Zuschlag. Die Initiativen hätten sich gar nicht bewerben können, wenn wie bei Innere Elben die geförderten Mietwohnungen mit einem Mieterbenennungsrecht verknüpft gewesen wären. In beiden Fällen hätte dann die zweitplazierte gewerbliche Immobiliengesellschaft den Zuschlag erhalten, die lediglich 50 % gebundene Mietwohnungen mit 20 Jahren Bindungsfrist geboten hatte – und ohne Mieterbenennungsrecht!

3. Gebotsverfahren

Ein weiterer krasser Fehlgriff ist die Ausschreibung des Grundstücks im sogenannten Gebotsverfahren (im Gegensatz zu Gutleutmatten mit amtlichem Gutachterwert als Festpreis): Mindestgebot ist der aktuelle Bodenrichtwert von rund 600.000 €. Er kann von den Investoren überboten werden. Der Investor mit dem Höchstgebot erhält satte 20 Bonuspunkte extra. Gebote die dazwischen liegen erhalten proportional zur Differenz Bonuspunkte.

Welche Bewerber, insbesondere welche Mieterinitiativen, die geförderte Mietwohnungen errichten wollen, könnten denn locker das eine oder andere Einhundertausender-Geldbündel auf das Mindestgebot oben drauf legen, um gegen konkurrierende Investoren/Kapitalanleger eine Chance zu haben? Man könnte meinen, die Stadtverwaltung selbst treibe die Kosten in die Höhe: Will sie geförderten Mietwohnungsbau verhindern und den Ausspruch des OB beim Beschluss der 50-Prozent-Quote zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu machen? Das kann nicht wahr sein!

Wie soll ich einen privaten Investor dazu bringen, geförderten Mietwohnungsbau zu machen, wo der sich doch nicht rentiert?“ (OB Salomon, BZ 21.5.15)

4. Vermarktungskonzepte für die zukünftigen neuen Baugebiete

Um viele langfristig bezahlbare Mietwohnungen zu ermöglichen und um genossenschaftlichen Mieterinitiativen faire Chancen einzuräumen, schlagen wir folgende Korrekturen bei den zukünftigen Vergabekriterien vor:

4.1 Bindungsfristen

Gleiche Punktzahl für geförderte und gebundene Mietwohnungen, bei gleichen Bindungsfristen sowie ohne Mieterbenennungsrechte in beiden Fällen. Bei den vorgegebenen unterschiedlichen Bindungsfristen wären 1,0 Punkte für 20 Jahre und 1,5 Punkte für 30 Jahre angemessen.

4.2 Mieterbenennungsrechte

Mieterbenennungsrechte für Haushalte aus der Datei der Wohnungssuchenden könnten durch Extrapunkte berücksichtigt werden, aber ohne die verzerrende Verknüpfung mit geförderten Mietwohnungen (analog der Regelung für barrierefreie oder behindertengerechte Wohnungen): 1,0 Punkte für 20 Jahre und 1,5 Punkte für 30 Jahre. Auch wären bei größeren Projekten Quoten bis zu 25 % denkbar.

Bei genossenschaftlichen Mietshausprojekten sollte der Vorschlag von Bürgermeister Neideck umgesetzt werden, der am 17.5.2017 zum Vermarktungskonzept Kronenmühlebach geschrieben hatte:

Im Rahmen der Ausübung des Benennungsrechtes können aber auch vom Bauherrn/Vermieter vorgeschlagene Bewerber_innen, die zur Aufnahme in die Wohnungssucherdatei berechtigt sind und einen Wohnberechtigungsschein erhalten, berücksichtigt werden.“

4.3 Feste Grundstückspreise

Die Grundstückspreise sollten wie in Gutleutmatten gedeckelt sein, sie dürfen keinesfalls über dem Gutachterwert liegen und außerdem einen entsprechenden Preisabschlag für geförderte Mietwohnungen berücksichtigen.

4.4 Bauflächen sind keine nachwachsenden Rohstoffe

Die Erfahrungen mit dem Rieselfeld haben gezeigt, dass von ursprünglich geplanten 50 % geförderten Mietwohnungen nach 20 Jahren weniger als 5 % übrig geblieben sind, und der Anteil von Eigentumswohnungen im gleichen Zeitraum von 25 % auf 75 % angestiegen ist. Ähnlich ist die Entwicklung im Vauban. Beide Neubaugebiete gehören neben Herdern mittlerweile zu den drei teuersten Stadtteilen in Freiburg.

In Gutleutmatten sind aufgrund der Vergabekriterien genossenschaftliche Projekte wie z.B. das 3HäuserProjekt indirekt gefördert worden, eben durch Bonuspunkte für verlängerte Bindungsfristen. Ergebnis beim 3HäuserProjekt: Rund 50 Wohnungen mit Mieten unter 7 €/m² und mit mindestens 55 Jahren Bindungsfrist. Zwei der 3 Projekte, Luftschloss und Lamakat, sind seit Juli bezogen, das dritte Projekt schwereLos wird im Frühjahr fertig gestellt.

Diese Vergabeverfahren sind eine gute Grundlage und können ausgebaut werden. Eine Evaluation wäre doch sehr informativ. Die Vermarktungskonzepte für die zukünftigen Baugebiete werden entscheidend sein, ob die dringend erforderlichen Mietwohnungen überhaupt entstehen und vor allem auch dauerhaft erhalten bleiben. Angesichts begrenzter Bauflächen und Ressourcen sollten sie ebenso sorgfältig geplant und öffentlich diskutiert werden wie die Bebauungspläne. – Wer baut? Für Wen?

Mit freundlichen Grüßen
Bauverein „Wem gehört die Stadt?“
Im Auftrag

Stefan Rost, Helma Haselberger