“Mutig und unkonventionell”? – Impulsprogramm für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – Bürgschaften exklusiv nur für eingetragene Genossenschaften?

An die Landesregierung Baden-Württemberg
zu Händen Herrn Ministerpräsident Kretschmann
Zur Kenntnis an die Fraktionen im Landtag, Stadt Freiburg und Fraktionen im Gemeinderat, Presse Offener Brief vom 8.4.2019
Betreff: “Mutig und unkonventionell”? –
Impulsprogramm für den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Bürgschaften exklusiv nur für eingetragene Genossenschaften?

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

in Ihrer Pressemitteilung vom 19. März 2019 schreiben Sie, dass die Landesregierung
“mit mutigen und unkonventionellen Ansätzen das Miteinander in Baden-Württemberg stärken” und in “zahlreiche Projekte für den gesellschaftlichen Zusammenhalt investieren will”
und dafür ein Impulsprogramm beschlossen hat.
Besonders aufgefallen ist uns als wohnungspolitischer Initiative der Punkt 3 “Neue Ansätze für gutes Wohnen”:
“…Durch eine Landesbürgschaft soll Wohnungsgenossenschaften, die neuen sozialgebundenen Mietwohnraum schaffen wollen, der Zugang zum Landeswohnungsbauprogramm ermöglicht werden.”
Das kann man “mutig und unkonventionell” nennen. Man sollte es besser aber anders bezeichnen: nämlich als die seit Jahren überfällige Korrektur einer Absurdität im Landeswohnraumförderprogramm, die genossenschaftliche Neugründungen von Mietshausprojekten strukturell benachteiligt.
Laut Landeswohnraumförderprogramm müssen die Mieten der geförderten Mietwohnungen mindestens 33 % unter dem Mietspiegel liegen. Dann aber sinkt der Beleihungswert (= “Ertragswert”) der Wohnungen ebenfalls um 33 % und damit die Höhe des Darlehens, das die L-Bank gewährt!
Ausgeglichen werden kann diese Finanzierungslücke nur durch weitere Sicherheiten, wie sie die traditionellen großen Wohnungsunternehmen und -genossenschaften problemlos nachweisen können aufgrund ihres in Jahrzehnten gewachsenen und entschuldeten Wohnungsbestandes. Genossenschaftliche Neugründung von einzelnen Mietshausprojekten verfügen naturgemäß über keinen Wohnungsbestand. Deshalb sind die angekündigten Bürgschaften eine notwendige und begrüßenswerte Maßnahme, auch genossenschaftlichen Neugründungen einen problemloseren Zugang zum Landeswohnraumförderprogramm zu ermöglichen.
Bedauerlicherweise aber ist das Bürgschaftsprogramm der Landesregierung auf Neugründungen in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG) beschränkt. Dieser Förderansatz schließt die zahlreichen Wohnprojektinitiativen aus, die ebenfalls die Genossenschaftidee verwirklichen, aber aus guten Gründen nicht die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft (eG) gewählt haben. Das sind z.B. eingetragene Vereine (e.V.), Stiftungen oder Kombinationen von Vereinen mit Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) wie etwa bei den zahlreichen Projekten des Mietshäuser Syndikats, die ausnahmslos gemeinwohlorientiert arbeiten. Wäre es da nicht “mutig und unkonventionell”, wenn die Landesregierung auch die anderen Mietshausinitiven berücksichtigt, die nicht als eingetragene Genossenschaft firmieren?
Wir dürfen Sie daran erinnern, dass dieses Ziel der Landesregierung bereits vor fast drei Jahren im Koalitionsvertrag vom 9.5.2016 formuliert worden ist:
“Wir wollen neuen und kleineren Akteuren wie Genossenschaften, Gemeinschaftvorhaben von Eigentümern (Baugruppen) und gemeinnützig orientierten privaten Investoren, die neuen sozialgebundenen Wohnraum schaffen wollen, den Zugang zum Programm erleichtern und prüfen hierzu Bürgschaftsmodelle.”
Aktuell sind allein in Freiburg und in Mannheim rund 20 Projektinitiativen des Mietshäuser Syndikats in den Startlöchern, die sich auf Grundstücke in den neuen Baugebieten bzw. Konversionsflächen bewerben und insgesamt einige hundert geförderte Mietwohnungen errichten wollen. Mittelfristig planen wir im neuen Freiburger Stadtteil Dietenbach, der kürzlich per Bürgerentscheid beschlossen wurde, rund 100 Mietshausprojekte mit 1.500 Mietwohnungen.
Wir bitten Sie bzw. die zuständigen Ministerien des Landes um ein direktes Gespräch, um die offenbar bestehenden und uns gegenüber nicht benannten Hürden auszuräumen und um im angestrebten Umfang Mietwohnungen errichten zu können – gleichgestellt mit den eingetragenen Genossenschaften.
Viele Grüße aus Freiburg
Bauverein “Wem gehört die Stadt?”

Links:

https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/impulsprogramm-fuer-gesellschaftlichen-zusammenhalt/

www.syndikat.org

P.S.
Das Mietshäuser Syndikat ist ein wachsender Unternehmensverbund von aktuell 141 Mietshausprojekten in vielen Städten und Gemeinden Deutschlands, davon 39 in Baden-Württemberg, und wurde Anfang der 90er Jahre in Freiburg gegründet.

Ziel ist es, die Entstehung neuer selbstorganisierter Mietshausprojekte zu unterstützen, mit know how und finanziell. Deshalb zahlen alle Projekte wachsende Beiträge in den gemeinsamen Solidarfonds für Neugründungen.

Alle Projekte sind rechtlich und wirtschaftlich selbständig und haben je Objekt die Rechtsform der GmbH mit zwei Gesellschaftern. Erster und geschäftsführender Gesellschafter ist der Hausverein der MieterInnen des Projektes mit alleinigem Stimmrecht in fast allen Belangen.

Das Stimmrecht wird eingeschränkt in Grundlagenfragen durch ein Vetorecht des zweiten Gesellschafters Mietshäuser Syndikat, z.B. falls im Laufe der Jahre und Jahrzehnte die Absicht auftauchen sollte, einzelne Wohnungen oder die komplette Immobilie zu privatisieren oder gewinnbringend zu vermarkten. Auf diese Weise werden die Häuser dauerhaft dem Markt entzogen:
Privatisierungen von Wohnungsbeständen, wie sie immer wieder bei öffentlichen Wohnungsunternehmen und auch bei Genossenschaften stattfinden, sind durch diese Konstruktion extrem unwahrscheinlich. Denn das Mietshäuser Syndikat selber ist ein Verein mit rund 800 wohnungspolitisch interessierten Mitgliedern im gesamten Bundesgebiet und würde als “Wächterorganisation” und GmbH-Gesellschafter sein Veto einlegen.

Obwohl keine eingetragene Genossenschaft (eG), erhielt das Mietshäuser Syndikat im Jahr der Genossenschaften 2012 den “Klaus-Novy-Preis für Innovationen beim genossenlichen Bauen und Wohnen” für sein Organisationsmodell. Der Preis wird alle fünf Jahre verliehen vom Spar- und Bauverein Solingen eG, der zweitgrößten Wohnungsgenossenschaft in Nordrhein-Westfalen, unter Beteiligung des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen (genossenschaftlicher Prüfverband).