OFFENER BRIEF zum BZ-Gastbeitrag 15.2.2019 „Dietenbach ist überall“

Lieber Matthias Deutschmann,

Wir möchten an die letzten Fragen in deinem BZ-Gastbeitrag anknüpfen:
„Die ehemalige Intendantin Barbara Mundel hat Freiburg verlassen. Ihre (Stadt-)Jubiläumsfrage ‚In welcher Stadt wollen wir leben?‘ hat sie dagelassen. Hat diese Stadt den Mut über die Grenzen des Wachstums nachzudenken?“

Gute Fragen. Angenommen, eine Grenze des Wachstums wird anvisiert, bezogen auf die Siedlungsfläche der Stadt Freiburg. Wer entscheidet eigentlich, welche wohnungssuchenden Haushalte zum exklusiven Kreis derer gehören, die in Freiburg auf eine Wohnung hoffen können? Wer muss ins Umland ziehen? Wohin mit den Haushalten, die Ihre Wohnung verlieren durch Eigenbedarfskündigung oder nicht mehr leistbare Mieterhöhungen? Fragen über Fragen.

Du hast völlig recht, wenn du schreibst:
„Wie sozial, ökologisch, nachhaltig, plus-energetisch, kinderfreundlich, seniorengerecht, inklusiv und klimaneutral der neue Stadtteil werden kann, das entscheidet sich nicht am 24. Februar, sondern erst später, und zwar am Markt.“

Aber das gilt nicht nur für Dietenbach. Wie sozial, ökologisch, nachhaltig usw. die Altbauviertel der Stadt Freiburg sein werden – mit Nachverdichtung im Bestand durch Dachgeschossausbau, Aufstockungen, überbaute Parkplätze, Supermärkte und Brachflächen – entscheidet sich sich ebenfalls nicht am 24. Februar, sondern erst später, und zwar ebenfalls am Markt.

Aber wer entscheidet „am Markt“? Wer sind die Akteure? Beispiele aus den vergangenen Jahren:

HERDERN AM HANG: Ein kleines Baugebiet (nördlich der umstrittenen Pferdewiesen). Hier wurde die Umwandlung eines kleineren Landschaftsschutzgebietes in ein exklusives Baugebiet durchgesetzt, und zwar auf Betreiben alteingesessener Herderner Familien, die so ihre ererbten Gartengrundstücke für Millionenbeträge an betuchte Kaufwillige verkaufen konnten. Darunter sicher auch junge Familien, vermutlich aus dem gehobenen Mittelstand, wie ihn kürzlich Friedrich Merz neu definiert hat, und vermutlich kein Haushalt eines Krankenpflegers oder einer Feuerwehrfrau. Hier trafen die Entscheidung, welche der wohnungssuchenden Haushalte eine Wohnung bekommen können, die privaten Eigentümer der ehemaligen Gartengrundstücke, und zwar zu Marktbedingungen.

ALTER GÜTERBAHNHOF: Von der Herderner Hanglage blickt man herab auf die Baukräne des Alten Güterbahnhofs. Dort werden etwas weniger schicke dicke Klötze mit Eigentumswohnungen errichtet, zum Kaufpreis ab 6.000 €/m2, die gegebenenfalls auch vermietet werden (Kapitalanlage), günstig ab 16 €/m2 kalt, nicht gerade das, was wohnungssuchnde Haushalte der mittleren Einkommenklassen aufbringen können.
Die Vorentscheidung über die „Preis-Frage“ traf die private Grundstückseigentümerin, die Deutsche Bahn AG, die ihre nicht mehr benötigten Bahnhöfe und Gleisstrecken an ihre Tochter Aurelis Real Estate GmbH & Co KG versilberte. Diese ist mittlerweile über verschiedene Verkäufe sicher in die Hand internationaler Finanzinvestoren gelangt, mit gravierenden Auswirkungen auf die Auswahl und die Preisgestaltung der beteiligten Bauträger am Alten Güterbahnhof.

ALTBAUBESTAND KLEINER & SAUER: Die Südwestdeutsche Bau-Union des Herrn Kleiner konnte Hunderte preisgünstiger Mietwohnungen vom Staat zum Schnäppchenpreis erstehen (ehemalige „Franzosenwohnungen“), um sie mit Sauer Immobilien Haus für Haus systematisch zu entmieten, „aufzuwerten“ und als Eigentumswohnungen zu vermarkten. Selbstverständlich mit ökologischem Ausbau der Dachgeschosse, vor allem im Quartier westlich der Merzhauser Straße; im Stühlinger auch mit architektonisch gewagten und energetisch ausgefeilten Aufstockungen.
Die Entscheidung welcher wohnungssuchende Haushalt zum Zuge kommt lag auch hier bei den Grundstückseigentümern, gekoppelt mit der Entscheidung, dass die bisherigen Mietparteien ausziehen müssen.

Eine weitere Frage taucht auf:
Wo sollen die vielen Wohnungssuchenden etwas Bezahlbares finden, die in den anderen Altbauvierteln Freiburgs verdrängt worden sind und laufend verdrängt werden? Auch die Miethaushalte aus dem Rieselfeld und Vauban, deren Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen sind? Wird Freiburg lebenswert und exklusiv – eine Stadt der Verdrängung?

DIETENBACH IST ÜBERALL. Es scheint, dass die Überschrift deines BZ-Gastbeitrages „Dietenbach ist überall“ den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Die Vermarktungsproblematik , die du für Dietenbach so herausgestellt hast, gilt ja auch für die Altbauviertel innerhalb der Siedlungsflächen der Stadt Freiburg, ob sie nun durch eine Grenze des Wachstums eingehegt werden oder nicht.

Doch Dietenbach, wenn es als städtebauliche Entwicklungsmaßnahme umgesetzt würde, hätte einen entscheidenden Vorzug vor den Altbaugebieten: Hier entscheiden keine privaten Grundstückseigentümer aufgrund von Höchstgeboten der Immobilienentwickler, sondern der Gemeinderat diskutiert öffentlich und kann nach sozialen Kriterien über Vergabe- und Vermarktungskonzepte abstimmen. Insbesondere könnte es gelingen, einen größeren Anteil der Grundstücke durch genossenschaftliche Mietshausprojekte dauerhaft dem Immobilienmarkt zu entziehen. Das ist eine Chance. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Viele Grüße aus dem alten Grethergelände von

Stefan Rost Regina Maier

Im Auftrag
Bauverein „Wem gehört die Stadt?“

P.S. Als inhaltliche Fortsetzung dieses Offenen Briefes empfehlen wir den BZ-Gastbeitrag von Stefan Rost vom 13. Februar: „Freiburg lebenswert und exklusiv?“.
http://www.badische-zeitung.de/mit-der-50-prozent-quote-ist-dietenbach-eine-einmalige-chance