Sehr geehrter Herr Friebis,
mit großem Interesse haben wir Ihre Mail vom 2.11.2016 an Herrn Bürgermeister v. Kirchbach zum Thema 50%-Quote gelesen. Da Sie die Mail auch an die Medien weiter geleitet haben, möchten wir Ihre darin geäußerte Meinung nicht unwidersprochen stehen lassen. Sie kritisieren die Aussage des Bürgermeisters, dass im neuen Stadtteil Dietenbach 50% geförderter Mietwohnungsbau vorgesehen sei (BZ-Bericht 30.10.2016 über die Situation von Menschen in oder am Rande der Obdachlosigkeit). Sie verweisen darauf, dass der Gemeinderat bisher keinen solchen Beschluss für Dietenbach gefasst habe. Das ist wohl richtig. Allerdings haben Sie übersehen, dass die Baulandpolitischen Grundsätze, in denen die 50%-Quote verankert ist, generell für neue Baugebiete gelten – also auch für Dietenbach:
„In Freiburg gelten für Neubauten und neue Baugebiete politische Grundsätze, die das Planverfahren, die Finanzierung und die Art der Bebauung betreffen. Diese baulandpolitischen Grundsätze sind am 30. Juni 2009 vom Gemeinderat der Stadt Freiburg beschlossen und zuletzt am 19. Mai 2015 geändert worden.“ (www.freiburg.de/baulandgrundsaetze)
Der diesbezügliche Beschluss des Gemeinderates vom 19.5.2015 lautet: „Die baulandpolitischen Grundsätze sind dahingehend zu ändern, dass bei Schaffung von Baurechten und der Durchführung von privaten Bodenordnungsverfahren im Umfang von 50 % der neu geschaffenen Geschossflächen geförderter Mietwohnungsbau zu realisieren und zu belegen sind. Ausnahmen hiervon sind im Einzelfall zu begründen und vom Gemeinderat zu beschließen.“
Offensichtlich ist das Statement des Bürgermeisters v. Kirchbach im zitierten Zeitungsbericht pro 50%-Quote in Dietenbach weit mehr durch die Beschlusslage des Gemeinderates abgedeckt als Ihre Unterstellung, diese Quote gelte hier nicht.
Zur inhaltlichen Begründung Ihrer Kritik an der 50%-Quote berufen Sie sich auf die „fachlich fundierten Empfehlungen ausgewiesener Wohnungsbauexperten“ des Empirica Instituts vom 10.10.2016, das die Stadtverwaltung in Auftrag gegeben hatte. Darin wird die These aufgestellt:
„Eine Quote von 50% im geförderten Mietwohnungsbau entzieht dem Stadtteil die untere Mittelschicht.“
Als Begründung führt Empirica an:
„Wohnungsbauinvestoren verzichten nicht auf Renditen, auch nicht als Folge städtebaulicher Verträge. Deswegen führen Auflagen wie der Bau sozialer Infrastruktur oder eine Mindestquote geförderter Wohnungen dazu, dass die frei errichteten Wohnungen umso höherwertig geplant und umso teurer vermarktet werden.“
Wir als nicht ausgewiesene Wohnungsbauexperten haben uns erlaubt, selbst nachzudenken. Ergebnis: Dieser These und ihrer Begründung liegt ein Denkfehler zugrunde.
Es ist richtig: Wohnungsbauinvestoren verzichten nicht auf Renditen (jedenfalls nicht freiwillig). Aber wenn das so ist, warum sollten sie im Falle fehlender Auflagen und Mindestquoten nicht bei ALLEN Wohnungen maximale Rendite erzielen wollen? Und sämtliche Wohnungen eines Gebäudes höherwertig bauen und so teuer vermieten, wie es der Markt hergibt?
Warum sollte ein Gewinn orientierter Wohnungsbauinvestor auf Renditen verzichten und aus Nettigkeit an „untere-Mittelschicht“-Familien günstiger vermieten als an betuchtere Wohnungsbewerber? Warum sollteder nette Investor weniger Miete verlangen als der weniger nette Markt-Konkurrent vom Neubauprojekt auf dem Nachbargrundstück?
Wir haben sie gesucht, diese Angebote von günstigen, frei finanzierten Mietwohnungen, auf den quotenfreien Baugrundstücken wie beispielsweise im boomenden Neubauviertel Güterbahnhof-Nord. Hier jedenfalls sind sie nicht zu finden. Aber vielleicht haben sie sich verschämt hinter den hochpreisigen Angeboten mit 15 oder 16 €/m² Kaltmiete versteckt? Oder wir haben sie bei den zahlreichen Angeboten von Eigentumswohnungen zum bescheidenen Kaufpreis um die 4.950 €/m² einfach übersehen?
Vielleicht aber weiß der Verfasser der Empirica-Studie, wo denn diese frei finanzierten, bezahlbaren und quotenfreien Mietwohnungen gebaut werden?
Mit freundlichen Grüßen
für den Bauverein „Wem gehört die Stadt?“
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